100% Natur – Offener Brief des Naturschutzbeirat und Antwort des OB

Der Naturschutzbeirat hat nach einer Begehung vor Ort einen ausführlichen Brief an Herrn Oberbürgermeister Kleine gesandt. Für unsere Webseite haben uns die Mitglieder eine Kurzfassung zur Veröffentlichung gesandt.

Am Ende finden Sie auch die Antwort des Oberbürgermeisters vom 15.Januar 2021.

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kleine,

der Naturschutzbeirat der Stadt Weimar, ein von der Stadt berufenes beratendes Gremium ehrenamtlich tätiger Bürger mit unterschiedlichen fachlichen Expertisen, hat in seiner vorigen Sitzung über die Entwicklung des ehemaligen EOW-Geländes diskutiert

Schon in den 1990ger Jahren erfolgte auf Beschluss des Weimarer Stadtparlaments der städtische Ankauf des ehemaligen EOW-Geländes unter der Maßgabe des völligen Rückbaus und der Renaturierung des Areals. Ein entsprechender B(ebauungs)-Plan wurde erstellt und bis 2012 kontinuierlich fortgeschrieben. Auf eine Anfrage der SPD-Fraktion 2011 wurde von der Stadt bestätigt: „für den Rückbau besteht…ein rechtskräftiger Aufstellungsbeschluss“.

Der Nutzen des Rückbaus und der Renaturierung des Geländes ist vielfältig:

  • Die Schaffung/Erweiterung einer Frischluftschneise aus Richtung Süden.
  • Das Offenhalten des EOW-Geländes ist für den Hochwasserschutz in Oberweimar und das Weimarer Stadtgebiet von größter Wichtigkeit.
  • Das rückgebaute EOW-Gelände kann sich zu einem wertvollen Lebensraum für Pflanzen und Tiere entwickeln, an einer Nahtstelle zwischen Weimarer Ilmpark und dem Landschaftsschutzgebiet „Mittleres Ilmtal“. Mit diesemBiotopverbund entsteht eine Verbindung der Stillgewässer entlang der Ilm von Taubach über die Ehringsdorfer Brauereiteiche bis zum Teich am EOW-Gelände. Das wirkt sich positiv aus auf die Rückgewinnung der Biotop- und Artenvielfalt.
  • Ein „durchgehender Grünzug von Belvedere bis nach Tiefurt und ins Zentrum der Stadt“ ist ein alter Wunsch der Bewohner der Kulturstadt Weimar und wurde schon im 19. Jh. von Großherzogin Maria Pawlowna und Großherzog Carl Alexander angestrebt.

Wir als Naturschutzbeirat möchten besonders auf die Natur als wesentlichen Faktor einer lebenswerten Umweltverweisen, für deren Erhalt wir alle Verantwortung tragen.

In den vergangenen Jahren setzte man die rechtsgültigen Gestaltungspläne schrittweise um und hat bereits einiges erreicht. Insbesondere sind, als Ausgleichsmaßnahme für Bautätigkeiten im Stadtgebiet, im EOW-Gelände in Entsiegelungen, Boden- und Grundwassersanierung, Anlegen von Flutmulden und Renaturierung bereits viel Arbeit und Geld investiert worden.

Die mit dem geplanten Verkauf bevorstehende Übertragung von städtischem in privates Eigentum versetzt den bisherigen Bemühungen und Plänen geradezu einen Schlag ins Gesicht.

Laut Weimarer Presse plant die Stadt, das Gelände an den privaten Investor Ingenieurbüro Hartung & Ludwig zu veräußern, der hier ein attraktiv gelegenes Firmengebäude durch Umbau eines Hauses (inkl. Infrastruktur) auf dem EOW-Gelände errichten möchte.

Diese Entwicklung ist für uns völlig unverständlich und wir kritisieren diesen Plan ausdrücklich, denn er läuft den oben genannten Zielen (Klima, Hochwasser, Naturschutz, kulturelles Erbe) vollkommen zuwider. Die Stadt Weimar vergibt damit die Möglichkeit der Umsetzung ihrer demokratisch abgestimmten Pläne.

Wir sehen ausschließlich negative Auswirkungen – und zwar drastische.

Die geplante Bebauung (bzw. Neunutzung durch Umbauten) führt anstelle einer Aufwertung des Gebietes durch Renaturierung und Biotopverbund zu einer extremen ökologischen Entwertung.

Durch den laufenden Arbeitsbetrieb (Verkehr durch Mitarbeiter, Kunden, Besucher) ist eine gravierende Störungjeglicher dort lebender Tierarten (z.B. Amphibien, Säugetieren und Invertebraten) unvermeidlich, von Beunruhigungen im Fortpflanzungs- und Nahrungsrevier bis zu einem wesentlich erhöhten Risiko steigender Zahlen von Straßenopfern („road kills“).

Darüber hinaus darf mit Recht angenommen werden, dass der Flächenverbrauch während und nach dem geplanten Umbau des Gebäudes nur ein erster Schritt ist, dem weitere Nutzungen (als Bauland, Parkplätze usw.) folgen werden. In den vorgestellten Plänen ist noch nicht einmal ein öffentlicher Weg zwischen Steinbrückenweg und Pappelallee vorgesehen.

Wofür hat die Stadt Weimar Gewerbegebiete ausgewiesen, wenn nicht für die Gewerbeansiedlung auch raumgreifender Ingenieurbüros?

Sollte tatsächlich in der Mitte des EOW-Geländes ein großes Gebäude stehen bleiben, sehen wir die in den vergangenen 30 Jahren realisierten Ausgleichsmaßnahmen vollkommen entwertet.

Im Namen des Naturschutzbeirates appellieren wir daher dringend an Sie, die bisherigen Pläne zur vollständigen Renaturierung des ehemaligen EOW-Geländes weiterzuverfolgen, was in vollem Umfang nur geht, wenn das Grundstück städtisches Eigentum bleibt.

Wir verweisen auf die gesetzlichen Verpflichtungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für den Artenschutz und den Erhalt der Artenvielfalt angesichts des rasanten, global zu beobachtenden Artensterbens, auch in unserer Region. Wenn derzeit weltweit Anstrengungen gegen das Artensterben unternommen werden, sollte im „überschaubaren“ kommunalen Rahmen hierfür ebenfalls alles getan werden.

 

Mit freundlichen Grüßen

folgende namentlich genannte Mitglieder des Naturschutzbeirates der Stadt Weimar

L.C. Maul (Biologe, stellv. Vorsitzender Naturschutzbeirat), S. Pfütze (Grüne Liga), U. Richstein (BUND Kreisgruppe Weimar), G. Thierfelder (Artenschutzbeauftragter Hornissenschutz), R. Bouska (BUND Kreisgruppe Weimar), A. Lerch (NABU), T. Pfeiffer (NABU/FG Ornithologie), Dr. H. Brunnemann (Tierschutzverein Weimar/Apolda, Artenschutzbeauftragte Gebäudebrüter), M. Krause (Grüne Liga), S. Schauer (NABU), B. Geyersbach (NABU/FG Ornithologie), G. Vogel

 

Am 15.Januar 2021 hat der Oberbürgermeister seine Antwort geschrieben. Er folgt der Argumentation des NSB und weist jedoch am Ende auf die Berücksichtigung anderer Belange hin ohne sie zu benennen.

2021-01-15_Antwort vom OB an NSB

Ja, Herr Peter Kleine dafür haben wir Verständnis. Uns sind keine Argumente bekannt, die gegen eine 100%ige Renaturierung und für einen Verkauf des Bestandsgebäudes und Ansiedlung von großflächigen Büros sprechen. Lösungsansätze finden Sie auf unserer Webseite und können wir Ihnen noch genauer erläutern.